„Jede Frau ist eine Tochter; und wenn ich mit einer Frau zusammen bin, brauche ich meine Zeit, um herauszubekommen, sieht sie mich in meiner Einzigartigkeit oder sieht sie ihren Vater in mir – spiegele ich Aspekte eines Mannes, den ich nicht kenne, den ich vielleicht nicht mag, der Verbrechen begangen hat, als Nazi, als Bonze, als Politiker oder auch als Vater, indem er Sex mit seiner Tochter hatte, egal, ob sie sechs Jahre, zehn oder dreizehn Jahre jung war?
Wenn es mir passiert, dass ich negative Aspekte eines älteren Herrn widerspiegele, was ist es, was die Gemeinsamkeit ausmacht? Mein Aussehen, das dem Vater ähnelt? Eine Geste, die Mimik, der Stimmfall – oder meine sexuelle Ausstrahlung? Oder ist es mein Alter, das es der Frau erlaubt, aufgrund eines größeren Altersunterschiedes den Vater in mir zu sehen? Oder ist eine negative Charaktereigenschaft in mir, eine faschistoide Struktur, ein Verbot, Jähzorn auszuleben, ein Monster hinter einer freundlichen Maske – nur ich habe es nicht selbst in mir entdeckt? Auf der positiven Ebene widerspiegele ich etwas Angenehmes, etwas Sympathisches, meine Männlichkeit, die der Vater ebenfalls ausstrahlt, die gemeinsame Schnittmengen von Intelligenz, Herzlichkeit und Talenten.
Es bleibt die Aufgabe, sich frei zu machen von all den Menschen, die nicht dazu gehören; wenn ich mit einer Geliebten in einem Raum bin, also kompromisslos den Raum frei zu machen von all meinen Verwandten und all ihren Verwandten. Und von all den Lehrern, Freunden und Verflossenen. Es bleibt die Aufgabe jedes einzelnen Menschen, egal ob Mann oder Frau, ob auch schon Junge oder Mädchen, das weiß ich nicht, eine Frage zu klären: Wer bin ich? Das „Erkenne-Dich-Selbst“ wird zur lebendigen Aufgabe im alltäglichen Sein; schwer für denjenigen, den das oberflächliche Leben treibt, schwer für denjenigen, der das Geld anbetet oder sich von seinen Trieben treiben lassen will.
Eine Chance, aus dem Alltagsspiel des konditionierten Maskenspiels zu entrinnen, bildet die eigene Bewusstheit, die politische, psychologische und spirituelle Aspekte umfasst.
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Jede Tochter ist eine Frau, die eine Tochter haben kann. Was passiert in einem Raum der Vertrautheit, wenn ein Mann mit einer erwachsenen Frau liiert ist und im Laufe der Zeit ihre jugendliche Tochter kennenlernt, die intelligent und sexuell attraktiv erscheint? Gesteht er sich ehrlich seine Gefühle ein, wenn sie entstehen? Wie geht er mit sich um, wenn die junge Frau ihm signalisiert, dass es sie interessiert, ihn unter ihre Decke zu bekommen, oder einen sexuellen Wunsch ausstrahlt, ohne ihn zu formulieren oder die Befriedigung ihres Verlangens zu forcieren?
Wie verhält sich ein Lehrer, der ein Single ist, in einem Jungen- und Mädcheninternat? Vielleicht eine Extrembetrachtung, die jedoch wiederum die Möglichkeit leichter durchspielen lässt, was eigentlich passiert, wenn ein Mann in seinen besten Jahren eine Frau kennenlernt, die seine Tochter sein könnte. Dürfen die beiden zusammen kommen, unabhängig von den gesellschaftlichen Tabus? Das Thema der Reifeprüfung, schon vor mehr als vierzig Jahren von Dustin Hoffmann und Katharine Ross bekanntgemacht, ist zweifelsohne heute noch akut, und brisanter denn je, weil die spürbare Regredierung der öffentlichen Sexualmoral selbst einen Kuss von Lehrer und Schülerin sanktionieren würde.“
Aus dem Tagebuch von Janto Hayen
von Burcado Nowak
in: Danae, Miriam und Janto
SIMON & GARFUNKEL: SCARBOROUGH FAIR
(Aus dem Film: Die Reifeprüfung)