„Wenn wir wissen, wie wir die letzte Tür öffnen,“ sagte Janto zum Abschied, „wird die Angst vor gewissen Umständen durch Freude abgelöst werden. Ich kann es nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit sagen, aber ich glaube an die Richtigkeit meines Handelns, an die Schönheit der Idee und die Relativität des Übergangs.“
Bei diesen Worten sah Janto gut aus; es schien, als ob er keine Ängste mehr habe und erinnerte mich an die Momente nach dem Meditieren, vor allen an jene Tage, an denen ich ekstatisch tanzte und mich drehte, immer schneller werdend, mit der Gewissheit, dass ich in mir selbst die Kraft finde, noch schneller zu werden und nicht dabei zu stürzen, um schließlich die Türen zu öffnen, in denen es für eine gewisse Zeit nur noch die Fülle eines Nichts und gleichzeitig das Reale geben wird.
Ich wusste, was Janto in den kommenden Stunden tun würde. Morgen bekomme ich sein Manuskript, das ich mit ihm lektorieren darf. „Inch’Allah,“ dachte ich, „wenn Gott es will.“ Dann stand Janto auf, um das zu tun, was er tun wollte.
„Breaking through to the other side,“ sagte Janto und sah mir dabei in die Augen. Dann ging er zur Tür, öffnete sie, ohne sich umzudrehen, wie er es sonst tat, und zugleich nahm ich ein fast unsichtbares Lächeln auf seinen Lippen und den Wangen wahr. „Ein ewiges Lächeln,“ hatte er mir einmal verraten, „kannst du nur mit dem Herzen erkennen. Du fühlst es genau, dass dieser Mensch, der auf diese Weise lächelt, eins mit sich und seiner Welt ist. Nur dein Herz kann es sehen.“
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Ein paar Stunden später öffnete ich Jantos Email. „Essenzen.“ Das war der Titel, den er seiner Arbeit gab. Es waren insgesamt elf Abschnitte, in denen er das reflektierte und kommentierte, was er erlebt hatte. „Eigentlich beruhte meine Inkarnation auf einem kosmischen Missverständnis.“ Der Satz barg eine Köstlichkeit, die dem Wesen Jantos entsprach, Geheimnisse zu entdecken, während er versuchte, sich selbst und das Leben zu verstehen. Ein einziger Satz, und jegliche NewAge-Ideologie wurde in Frage gestellt, mit einer Ernsthaftigkeit, die keinen Zweifel daran ließ, dass wir uns nicht die Eltern aussuchen, sondern dass wir durch die Geburt in eine Situation kommen, die mit zahlreichen Fragezeichen besetzt ist.
„Nicht dass mein Leben umsonst war,“ schrieb Janto, „aber ich war nicht da, wo ich sein wollte. Ich war auf der Suche nach meinem Mörder, nach dem Mann, der mich auf der Flucht aus Sobibor erschoss. Doch er hatte vom Namen her zwei Doppelgänger und ich war beim falschen Adressaten gelandet. Es war irgendwie ein kosmischer Witz, und dennoch war es gut so. Wenn ich ehrlich bin, wird es so besser gewesen sein.“
Die Einleitung überraschte mich, auch wenn seine jüngsten Arbeiten den Kern seiner Aussage bestätigten. Als ich daran dachte, dass Janto mit der Beschreibung seiner Mission hätte beginnen können, wurde mir klar, dass es seinem Wesen nicht entsprach, das Leben als determiniert zu betrachten. Janto war nicht so unwissend, um die Vielschichtigkeit menschlichen Seins ignorieren zu können, nicht einmal im Rückblick, der kein Rückblick war, eher eine Vorausschau, oder besser gesagt, ein Einblick in ein Leben, das ein individuelles Leben werden sollte. Janto war keine Kopie seiner Eltern; ihm schien es gelungen zu sein, Seele und einen Hauch von Sternenwissen mit irdischem Sein in eine neue Form gebracht zu haben. Gelebtes Leben als permanenter Dialog mit dem Göttlichen in weltlichem Kontakt, im Erkennen und Durchdringen aller Dinge und Wesen – soweit es ihm und seinem Interesse entsprach und möglich war -, um zu eigenen Erkenntnissen zu kommen.
„Jedes Leben ist eine dynamische Begebenheit, kein Schicksal. Es handelt sich um ein Inkarnieren im Sinne einer Wiedergeburt, verbunden jedoch mit einer Intelligenz des Moments, eines Wissens, das mit dem Wandel der Zeit und der Menschen einhergeht. So ergriff mich ein tiefes Mitleid, als ich meinen Vater als Vater anerkannte. Als Kind hatte ich die Aufgabe, Kind zu sein, ein glückliches Kind, das alle Menschen im Herzen berührt, nur durch den Anblick, und durch das Handeln und die Art, sich durch das Leben zu bewegen. Ich liebte das Weibliche, und das schien mein Vater auch zu tun. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend war ich von Frauen umgeben, von schönen Frauen und weniger schönen Frauen, von jungen Frauen und alten Frauen. Es war ein wunderbarer Ort, den ich als Paradies identifizierte und den ich rasch verlassen wollte, als ich meinen Irrtum bemerkte, dass mein Vater nicht mein Mörder war und dass das Paradies in Wirklichkeit eine Hölle war.“
Janto war acht Jahre alt, als der erste Schleier riss. Maya, der Schleier, der das menschliche Sein vom Sternenwissen trennte, oder besser ausgedrückt, als Janto wusste, dass sein Vater ein Mörder, ein Nazi war, absolut verunsichert in der Ausrichtung seines Lebens, erschüttert ob seines Seins, denn er war das Leben und der Vater der Tod, personifiziertes Morden, immer noch der kosmischen Verwechslung preisgegeben, dass der Vater der Mörder war, als die Befreiung aus dem Vernichtungslager begonnen hatte und ihn, Jantos vorherige Inkarnation, mit Maschinengewehrsalven erschoss, auf halben Weg zwischen Stacheldraht und dem Wald, der Freiheit bedeuten würde, auch wenn die Freiheit in den polnischen Wäldern nur relativ sein würde.
„Als ich erfuhr, dass mein Vater ein Nazi war,“ schrieb Janto, „wusste ich, dass das Wort Nazi ein Synonym für Mörder ist. Ich hatte den Zugang zum kosmischen Wissen, ohne zu wissen, dass ich mit der göttlichen Quelle verbunden war. Doch meine Informationen konnten genauso gut aus einem morphogenetischen Feld kommen, aber die Intensität des Wissens war so klar, dass ich mir um die Glaubhaftigkeit der Information keine Gedanken machte. Mein Vater war ein Mörder. Darin bestand die Gewissheit, auch wenn das kindliche Naive den Schrecken abwälzen wollte, aber nicht wusste, wie es gehen würde, außer sich dem Grauen forschend anzunähern, nicht im Sinne von Gleichwerdung, sondern mehr als Anpirschen, als ein Erforschen der Anatomie der Seele eines Mörders, der wusste, was er tat, ohne zu wissen, was auf anderen Ebenen geschah.
Eine Seele müsste das Recht haben, sich seine Eltern auszusuchen, wenn ein Kind ein glückliches Leben haben soll. Wenn es das Große Geheimnis gibt (und ich glaube fest daran, dass Spirit existiert), so wird irdisches Leben andere Aufgaben haben, als uns mit der familiären Religion auf den Weg gegeben wurde. Mit siebzehn beschloss ich, den Faschismus entziffern zu wollen, den Holocaust und das Leben danach, auch wenn ich damals noch nicht genau wusste, was es bedeutete, das Böse in seinem gesamten Grauen zu verstehen, ohne zu wissen, dass ich die Grundlagen schaffen wollte, das traditionelle religiöse Wissen zu entmystifizieren, um zu einer Religiosität zu gelangen, die keiner fremden Macht dienen würde, sondern die Entwicklung einer Spiritualität auf der Basis eines Erkenntnisprozesses.“
Janto hatte zwei Krücken benutzt, Hilfsmittel, um in einer verklärenden Welt Inseln der relativen Wahrheiten zu schaffen, auch wenn er es etwas anders ausdrückt. Er schreibt, dass er Inseln betrat, auf denen er sich sicher fühlte. Eine Insel war der Wald als solches, eine Metapher, die in sich keine Metapher war, sondern ein lebendiger Raum, der ihn in das Göttliche entführte, ihn mit dem Göttlichen verband, ihn das Göttliche in den Dingen und Wesenheiten des Waldes erkennen und einen Hauch von Wahrhaftigkeit wahrnehmen ließ, auch wenn es mehr als eine Brise war, eher das Gefühl der Absolutheit des Freien und des Göttlichen, wenn auch nur in seiner tatsächlichen Relativität. Doch die Luft, die Janto damals atmete, war zwar schon vergiftet, von den atomaren Unfällen in Großbritannien und der Sowjetunion, aber sie hatte noch den Hauch des Freien, denn das Gift war nicht sichtbar, vielleicht auch nur in einer geringen Dosis. Und vor allem war Janto frei gegenüber dem Wald und der Luft, er begegnete dem Göttlichen unschuldig. Sobald er sich auf den Weg machte, befand er sich, und sei es nur für Stunden, in einer absoluten Form von Liebe. Diese Situation erschien Janto als absolute Freiheit von Zwängen, auch wenn ihm später klar wurde, dass es sich um eine relative Freiheit handelte.
(Erster Teil)