Holocaust. Wer war der Vater, was tat er im Faschismus, was wusste er? Das sind meine Fragen an Vater, und doch werde ich keine Antworten von ihm erhalten können, weil er nicht mehr unter uns lebt.
Es gibt eine Reihe von wichtigen Anhaltspunkten, die ich genauer anschauen kann. Die erste Anrecherche führt mich zu einem Verbrechen ungeheuren Ausmaßes, das Vater nicht verursacht hat, von dem er jedoch schon vor 1945 Kenntnis hatte.
Mir wird übel, obwohl ich nur lesend wahrnehme. Mein Körper beginnt zu zittern, und meinem Kopf geht es nicht gut. Ich könnte zwei Sachen zu einer Zeit tun; ich könnte weinen, ich könnte aufschreien. Die Details erzähle ich an dieser Stelle noch nicht, dafür brauche ich Zeit, um die jüngsten Fakten reflektieren, verdauen und auswerten zu können.
Das Internet ist eine große Hilfe, wenn ich weiß, wonach ich suche. Aber selbst dann braucht es Geduld, um zu Ergebnissen zu kommen. In diesem Fall war es leicht; doch obwohl ich seit vierzig Jahren wusste, dass es den ‚Fall‘ als solches gab, hatte ich keine Ahnung, die ‚Verwicklungen‘ zu bewerten.
Schwieriger wäre es, wenn ich Enkel oder Urenkel gewesen wäre. Manchmal reicht es aus, den Familiennamen mit entsprechenden Tags zu versehen, manchmal braucht es Ausdauer und Willen, um zu sehen, in welcher Familie kriminelle SS-Angehörige waren. Dann die Frage, wie gehen wir damit um, wenn es so war. Die einen vertuschen diese Linie, andere verehren eine Bestie oder sogar das ganze System. Andere sprechen darüber wie Niklas Frank, der die Verbrechen seiner Nazieltern dokumentierte.
Ehrlichkeit ist relativ. Nicht jede Identifikation mit den Tätern wird ehrlich kommuniziert. Ich hatte das Glück, dass Vater nicht in der SS war. Und dennoch belastete es mich immer wieder aufs Neue, dass dieser Mann mein Vater war. Es hätte noch schlimmer kommen können. Wie hätte ich dann reagiert?
Vater hat mit dreizehn Jahren eine Gewalttat gegenüber einem kommunistischen Jungen begangen – und er erzählte die Geschichte ohne Reue. Ich wurde mit siebzehn Kommunist, und als ich zwanzig war, organisierte ich ein rotes Camp in meinem Dorf. Die Polizei fand einen Grund, uns zu vertreiben und wir zelteten im öffentlichen Schwimmbad. Keiner von uns kam auf die Idee, über die Gründe zu sprechen, warum er (oder sie) Kommunist geworden war.
Wir waren zu unwissend, um uns auf Spurensuche zu begeben. Und wir waren jung, rebellisch genug, um uns nicht die Frage zu stellen, was aus uns einmal werden würde. Es reichte aus zu wissen, wer wir nicht werden wollten.