Leben. Photographie. Ein paar Überlegungen. Es kommt aus meiner Sicht nicht darauf an, ob wir ambitioniert sind oder nicht. Ich glaube, dass es wichtig ist, das Leben zu lieben. Zuerst die Liebe, das Sein und das Leben, und erst dann kommt die Photographie.
I
Einen Durchbruch in der Photographie habe ich 2003 erlebt. Drei Wochen war ich mit Menschen, die ich liebe, auf einer Ostseeinsel. Für jeden Tag hatte ich einen Film zur Verfügung; so war mein Plan. 21 mal 36 Aufnahmen – das ließ mein Etat zu, und aus heutiger Sicht klingt das lustig, denn eine digitale Session führt in der Regel schon zu 400 Aufnahmen, mehr oder weniger.
Das Konzept war einfach. Einfach leben und den Impulsen folgen. Menschen lieben es nicht, mit der Kamera ständig in Szene gesetzt zu werden; also beschränkte ich die Zeit für die Portraits auf ungefähr 15 bis 30 Minuten. In der Landschaft ist es einfacher, länger zu arbeiten, weil ein Baum oder ein Stein sehr geduldig ist und nicht auf die Idee kommt, das Ego aufzublähen.
Wenn Du jeden Tag photographieren kannst, fließt die Kreativität von alleine. Kunst und die innere Quelle sind eng miteinander verbunden, und deswegen ist es wichtig, die Seele zu nähren, insbesondere mit Musik und Literatur. Noch wichtiger ist die Entdeckung der eigenen Spiritualität, und das Verbundensein mit dem Großen Geheimnis, am besten 24/7, auch wenn das eher Ideal als Wirklichkeit ist. Es lohnt sich, über den eigenen Weg nachzudenken.
Es ist die Seele, die uns zu den inneren Tiefen und Höhen führen kann. Die Photographie ist immer ein Spiegel der Seele. Leben wir oberflächlich, so sind die Bilder zweidimensional und langweilig. Erst wenn wir das Leben leben, wird es spannend.
II
Irgendwann habe ich festgestellt, wie sehr mich die Woodstock-Ära beeinflusst hat. Love, Peace & Happiness. Das war kein Slogan, das war kein Lifestyle. Was sollte im Leben schon wichtiger sein als Liebe und Frieden? Wenn ich heute photographiere, inszeniere ich ein Event, auch wenn ich alleine in der Natur bin.
Ich folge einem Impuls, der mich dahin leitet, wo ich mich wohlfühlen kann. Die Photographie spielt keine Rolle, jedenfalls nicht als Ziel oder als Lebensinhalt. Wenn ich an meinem Ort angelangt bin, verbinde ich mich mit den anderen Lebewesen, den Bäumen, den kleinen Pflanzen und dem Geist des Ortes. Es kann sein, dass ich nur still sitze oder tanze und meditiere. Wenn ich danach photographiere, entsteht etwas, dass meine Gefühle und meine Verbundenheit bezeugt.
Die Musik hat mein Lebensgefühl stark beeinflusst. Janis Joplin beispielsweise – als eine Künstlerin von vielen, die ich zutiefst verinnerlicht habe. Janis ist ein Archetyp von Wildheit, sexueller Magie und Leidenschaft. Sie ist virtuos, authentisch und natürlich. Sie läßt sich Zeit, Musik zu empfinden und zu inszenieren, und zugleich ist sie in jedem Moment präsent. Sie scheint, wenn sie singt, eins zu sein mit dem was ist – mit dem Klang, mit den anderen und mit sich und ihrer Seele. Ich glaube, dass das Kunst ausmacht. Einssein.
Der tragende Gedanke von Woodstock hieß eigentlich: Love, Peace & Oneness. Warum es zu einer Änderung kam, die vom Eigentlichen ablenkt, ist nicht genau nachzuvollziehen. Vielleicht ist es unmöglich, auf diesem Planeten absolut glücklich zu sein wie eins mit dem zu sein was ist. Aber das innere Einssein ist für mich Ziel, Weg und Werden zugleich, auch wenn ich täglich übe.
III
Die Photographie ist eine Momentaufnahme meines Übens. Ich erzwinge keine künstliche Welt, auch wenn ich gerne experimentiere, wenn ich es denn tun will. LSD hat mich fasziniert, und dennoch habe ich es nicht genommen und werde es nicht nehmen, weil die Bedingungen weder vom Stoff noch von der Umwelt gegeben sind.
Atemtechniken und Meditationen reichen mir aus, um mich in meiner Welt orientieren zu können. Um psychedelische Kunst zu machen, benötige ich eine Woche. Einen Tag für das Einstimmen, einen Tag für das Atmen, Tanzen und So-Sein und einen weiteren Tag für das intuitive Arbeiten. Die anderen Tage sind ein Abklingen. Eine gepuschte Identität braucht Zeit, um sich in das alltägliche Leben wieder hineinzufühlen.
Heute erlebe ich eine neue Ausformung von Lebensgefühlen. Es ist das scheinbar Unmögliche, das eine Vision ist. Freiheit gehört für mich zum höchsten Ideal, denn Liebe und Frieden können immer nur relativ sein, solange wir in Unfreiheit leben. Das sind meine inneren Settings – Love, Peace & Liberty. Liebe, Frieden und Freiheit.
Ich habe die Freiheit, mir meine Themen auszusuchen. Aber das ist relative Freiheit. Wenn ich das Leben liebe, kann ich wählen, ob ich meine Gefühle und Gedanken in der Photographie, im Schreiben oder im Malen ausdrücken will. Selbst im Konzentrationslager oder im Krieg haben Menschen sich ausgedrückt, oder nennen wir es anders. Sie haben der Seele und den Gefühlen Ausdruck gegeben.
Jan Karski hat das Warschauer Ghetto unter größten Gefahren aufgesucht, hat Leiden auf sich genommen und das eigene Leben aufs Spiel gesetzt. Er folgte seiner Seelenaufgabe. Er schrieb seinen Bericht an die Welt nicht, um Künstler zu sein, sondern um den Holocaust zu stoppen. Die Bilder, die sein Werk uns heute noch vermitteln, haben eine tiefe Aussagekraft, erzählen vom Lebendigen und von einer Maschinerie des Todes.
Das macht für mich das Wesentliche aus – in Einklang mit den Bedingungen zu leben und zu arbeiten. Wenn ich eins bin mit einem Baum, mit Freunden oder einer Geliebten, dann lebe ich darin in Einklang mit den Möglichkeiten, die in mir, im anderen und im Kosmos sind.
IV
Solange die äußeren Bedingungen Nicht-Freiheit bedeuten, lerne ich es, in Liebe zu sein. Nicht um opportunes Handeln zu ermöglichen, sondern weil Liebe Ziel, Weg und Inhalt ist. Das stärkt das eigene Wohl, oder anderes ausgedrückt, es tut gut, in Liebe zu sein.
Photographie kann leicht sein, sie kann jedoch auch die Schwere des Lebens widerspiegeln. Genauso ist es mit dem Schreiben. Mal ist eine Kurzgeschichte leicht, mal ist sie es nicht. Die Leichtigkeit des Seins sind oftmals sehr intime Momente, genau wie die Schwere des Seins sehr privat sein kann.
Die Leichtigkeit des Seins lebe ich lieber, aber ich kann es mir nicht aussuchen, wenn mich die Schwere eines Atomkraftwerks erdrückt. Es verlangt jedoch den Willen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – und die Fähigkeit, das Unsichtbare sichtbar zu machen.
Was hindert mich daran, nach Würgassen zu fahren? Ich dache immer, dass es darauf ankäme, meine Gesundheit nicht leichtsinnig zu gefährden, doch vielleicht ist es an der Zeit, genauer mit den existentiellen Bedrohungen umzugehen, auch wenn Gudrun Pausewang (und viele andere) die Gefahren eingehend beschrieben haben.
V
Wäre das der innere Umschwung, der notwendig ist, um die Grenzen von relativer zu absoluter Freiheit zu verschieben, indem ich mich auch den brisanten Themen zuwende?
Atomkraft ist ein permanentes Thema, nicht erst seit Tschernobyl oder Fukushima. Krieg ist es und Unfreiheit ist es auch. Es sind die täglichen Gifte aus allen Lebensbereichen, Tag für Tag. Doch weil ich leben will, ignoriere ich gerne das Unbequeme – und erst recht das Bedrohliche.
Nun habe ich nicht ständig ausgeblendet, es gibt genügend Arbeiten, die sich mit dem Horror beschäftigen. Das Problem der eigenen Zensur habe ich im Laufe der Jahre in den Griff bekommen; es kommt darauf an, die Angst vor den Mächtigen zu verlieren. Parallel gibt es Gedanken von Gelingen und Erfolglosigkeit des menschlichen und politischen Willens, verbunden mit dem unschönen Lebensgefühl, das zwangsläufig lebendig wird, wenn ich Licht in das bedrohliche Dunkle bringe.
Es sind die realen Bedingungen der Unfreiheit, des Machtgefüges und der Finanzen, die mich in meiner Handlungsfreiheit einschränken. Doch genau an diesem Punkt wird es interessant, die eigene Axiomatik kritisch zu betrachten. Wieviel Mut brauche ich, um wirklich das zu machen, was ich machen will und machen muss?
Die Liebe zur Liebe ist nicht Mainstream, die ‚Schatten des Grauen‘ lassen sich leichter verkaufen als meine Geschichten aus der Hölle. Das Leben des geringsten Widerstandes im Alltag – die Kunst des Überlebens – erfordert einen emotional intelligenten Paradigmenwechsel. Doch wie sieht der neue Alltag aus, dessen Leben und Kunst sich ausschließlich der Liebe, dem Frieden und der Freiheit widmen?
Wenn ich Armut erlebe, kämpfe ich um das Überleben. In der Dimension der spirituellen Entwicklung sehe ich mein eigenes Wachstum, werde lebendiger und vielschichtiger, und dennoch weiß ich um die politischen Bedingungen von Arm und Reich. Ich kenne den furchtbaren fruchtbaren Schoß, der Faschismus und Krieg gebiert. Warum meditiere ich nicht um den neuen Kontext von politischer Kunst in meinem Leben?
VI
Künstler haben sich oft vereinnahmen lassen, vielleicht aus Angst, vielleicht aus Opportunität und dem Überleben an sich. Ist es möglich, neue Wege zu gehen, die Machtmissbrauch ausschließen?
Als ich achtzehn war, habe ich angefangen, einen Lehrer zu studieren, der in seiner Grundstruktur sadistisch war. Eines Tages war es soweit, und ich habe ein Portrait von ihm angefertigt. Das Bild zeigte einen kleinen Ausschnitt seiner Realität, fast banal, fast langweilig, doch es hatte eine negative Aussagekraft, wenn auch zu schwach ausgeprägt. Es fehlte der Mut, seine tägliche Grausamkeit zum Thema zu machen.
Vor fast zwei Jahrzehnten hatte ich die Idee für eine neue journalistisch-literarische und photographische Werkstatt. Es war ein Impuls, den ich allmählich in ein Konzept umwandelte. Es fehlte mir jedoch das Wissen und die Einsicht in die Notwendigkeit, um kontinuierlich an dem Projekt zu arbeiten. Ich war zu unerfahren, um unter den schwierigen Bedingungen des Kapitalismus einen Alltag zu gestalten, der den Lebensaufgaben gerecht wird.
Vor vielen Jahren sagte eine liebe Frau im Wendland zu mir, wie politisch ihr privater Alltag sei und unterstrich, wieviele Aufgaben nur der einfache Alltag mit sich bringt. Das war eine Zeit für mich, um eigene Wege zu suchen. Ich fand einen Weg des Überlebens, und ich fand Nischen, um meine relative Freiheit zu leben.
Wie wird es weitergehen? Die Zeit ist reif für eine weitreichende Kommunikation mit Spirit und mit Freunden. Ich lasse mir die Zeit von drei Mondphasen, um zu klären, wie ich realistische Lösungen finden kann.
Collage: Jan Karski, Herbst in Deutschland