DIE POLITISCHE ANALYSE EINES UNTERNEHMENS war schon immer interessant für Menschen, die denken konnten oder es lernen wollten, denken zu können. Friedrich Christian Delius schenkte uns 1972 mit ‚Unsere Siemens Welt‘ eine wunderbare Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Hauses S.
Doch der Künstler eckte an, zunächst bei dem Unternehmen S., das auch Wehrwirtschaftsführer hervorgebracht hatte und jährlich etliche Millionen den Faschisten für die Umsetzung der Unternehmenswünsche spendete. Schon bald jaulten die Bosse des Unternehmens nach der bissigen Satire auf und setzten ihre Wölfe auf den Fall an. Die wiederum waren der Ansicht, genügend Punkte zu finden, die der offiziell entnazifizierten Justiz ausreichen würden, um fcdelius, den Wagenbach-Verlag und den Rotbuch-Verlag in wirtschaftlichen Ruin zu treiben.
Das Recht auf künstlerische Freiheit war nicht mehr gefragt, wichtig war, daß sich das Unternehmen erneut politisch entnazifizieren konnte, auch wenn dies faktisch unmöglich gewesen war.
“Die Firma Siemens war nach den IG Farben und den Vereinigten Stahlwerken der drittgrößte Industriekonzern in Deutschland. Sie war das größte elektrotechnische Unternehmen Europas und das zweitgrößte auf der Welt” – zur Zeit der “Neuordnung Europas” durch die Faschisten. 1937 waren 85% der Produktionskapazität für die Herstellung von Erzeugnissen eingesetzt, die direkt oder indirekt mit der Wiederaufrüstung zusammenhingen, und während des Krieges ging ein noch größerer Teil der Produktion von Siemens in die Rüstung” (Office of Military Government for Germany).
Siemens bestritt beispielsweise, KZ-Anlagen selber errichtet zu haben. fcdelius nutzte DDR-Quellen, die zwar zum Teil auch in der Bundesrepublik unangefochten erschienen waren, denen das Gericht aber Glaubwürdigkeit absprach. Die Beweislage in den meisten Punkten sei äußerst schwierig, so Dieter E. Zimmer über Goliaths Sieg in der ZEIT. Und deutete damit an, daß ein politisches Grundsatzurteil – zwar informell, aber doch – gegen Schriftsteller gefällt wurde, die mit nicht gefälligen Quellen arbeiten.
Doch allein das, was nicht geschwärzt werden mußte, erzählt genug, damit wir uns ein Bild über die einstige Siemens-Welt machen können. Die erweiterte Neuauflage des Rotbuch-Verlags aus dem Jahr 1995 umfaßt 266 Seiten.
Postscript
Anteilseigner der heutigen Siemens-Welt sind zu sechs Prozent die Siemensfamilie, mit etwa zehn Prozent die BlackRock-Gruppe USA. Jetzt wird die Gegenwart wichtiger als die Vergangenheit. Wer ist BlackRock? Was sind die Ziele der größten imperialistischen Banker? Gibt es Verflechtungen und Verwicklungen, die sich definieren lassen?
Wer regiert die Welt? Ein Film über BlackRock (2014).
Unsere Siemens Welt. F.C. Delius.
Photographie: Hong Kong Central, Ice House Street, Baskerville House, Siemens office entrance, 2013 by Hoigoazhung, Wiki, CommonSense