Ein Blutsonntag. 17 Luftangriffe, davon dauerte der am Nachmittag mehr als zwei Stunden. Leidenschaftlich und hartnäckig nahmen sich die deutschen Flieger in einhundert Meter Höhe das Umfeld der Brücken [Warschaus] vor. Praga steht in Flammen. … Die Menschen- und Pferdeleichen liegen bis zum Abend auf den Straßen, denn jeden Augenblick beginnt ein neuer Angriff.
Warschau im Feuer | Halska Buczynska |1942
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Sich eines Themas anzunehmen, das schwierig ist, widerspricht dem Wunsch des Menschen nach dem Leichten und dem Schönen; um wie viel faszinierender wäre es doch, mit einem Schmetterling zusammen das Fliegen zu üben und eine Novelle über die Kunst des Transformierens zu schreiben. Doch der Schmetterling von gestern kann nicht mehr fliegen, ist außer Atem gekommen, genau wie ich, wenn ich durch die Straßen der Stadt gehe, die einst eine Hochburg der deutschen Nazis war – Göttingen. Es ist nicht nur das kalte Klima der Gegenwart, das die Luft mit Schwere schwängert, es ist nicht nur der Verlust der Jahreszeiten, und auch nicht das Bunjee-Jumping der Quecksilbersäulen, das mich innerlich aufschreien lässt; durch die schmalen Ritzen der Medienpropaganda und dem schwarz-rot-goldenen Plädoyer für den Krieg des Friedens, das sich bei genauer Betrachtung als schwarz-braun und rot-grün in wechselseitiger Umarmung offenbart, erkenne ich die Unbilden einer Zeit, die Millionen von Menschen den grausamen Tod brachte, den Tod aus Nazideutschland.
Es ist kein Verfolgungswahn, der mich treibt – auch keine Verschwörungstheorie -, es sind die Umtriebe der Mörder von damals, die Anschauungen gewisser Kinder und Enkelkinder der Nazis, deren Macht in der Bundesrepublik Wolfgang Staudte einstmals zu der klaren Aussage brachte, dass „die Mörder unter uns“ seien. Es ist die Liebe zum Leben, die mich aufschreien, recherchieren und schreiben lassen will, es ist die Notwendigkeit, aus der Gegenwart in die Vergangenheit zu reisen, um Klarheit über die Gegenwart zu erlangen. Der blinde Fleck, der verordnete, das ist nicht nur der biographische Fehltritt meines Vaters, es war das gesellschaftliche Ersticken von Ansichten über die Hintermänner des Faschismus, es war der kontinuierliche Aufbau eines Lügengebildes, das die Notwendigkeit der Bundeswehr suggerierte – bei gleichzeitiger Vertuschung der braunen Vergangenheit des Staatsgebildes, der Nichtentnazifizierung und der Planung neuer Verbrechen.
Dass die Vergangenheit, die üble, die grausame, insbesondere die ersten Wochen des Überfalls Nazideutschlands auf Polen, systematisch ihrer Entschleierung bewacht wurde, ließ den Historiker Dr. Jochen Böhler aufhorchen. Nur die ersten vier Wochen enthüllt zu sehen, verschlägt einem gesunden Menschenverstand den Atem, bedroht die innere psychische und seelische Balance mit einer Instabilität der Liebe zum Sein und zum Leben; nicht im Sinne von Suizid, eher mit dem permanenten Gefühl einer Fassungslosigkeit, eines Nicht-Begreifen-Könnens der unendlichen Gräueltaten, eines Wut-Gefühls, das sich in Zorn entäußert, als Alltagsgefühl, aber auch in Disputen mit Freunden – das Nachempfinden zeitigt seine Folgen. Es entsteht ein inneres Vakuum – oder ist es das Bewußtwerden eines inneren Zustands, das mit dem Auslöschen von Wissen über kollektive Verbrechen – sowohl durch den Vater als auch durch den Staat – zusammenhängt?
Vor zweiundsiebzig Jahren, am 10. September 1939, „erlebte Warschau als erste europäische Großstadt die Schrecken eines systematischen Bombenterrors,“ schreibt Dr. Jochen Böhler im Kapitel „Warschau im Feuer.“ Das, was damals passierte, war kein Zufall, es war die geplante systematische Vernichtung eines ganzes Volkes und der jüdischen Menschen. Der Historiker kommt nicht umhin festzustellen, dass sowohl Wehrmacht, Polizei, Volksdeutsche und SS grauenhafte Massaker verübten, die nicht mit dem Kriegs-Völkerrecht vereinbar gewesen seien. Kriminell sei nicht nur die SS gewesen, sondern auch breite Teile der Wehrmacht. Dass diese Mörder reingewaschen worden sind, keine oder nur geringe Strafen erhielten, hing mit anderen Notwendigkeiten zusammen. Es waren die USA und der CIA, unter anderem, die sich über das Know-How des Mordens, der Manipulation und der Bewusstseinskontrolle freuten.
Wie würde heute wohl Wolfgang Staudtes Film aussehen? Und würde er immer noch die Überschrift wählen: „Die Mörder sind unter uns?“
PS
Nicht das Thema en detail angesprochen zu haben, nur anzudeuten, im Zitat, soll motivieren, sich selbst näher mit der Geschichte Warschaus und Polens zu beschäftigen. Warschau, und das ist neu für mich, erlebte zwei Aufstände: Den Aufstand des Warschauer Ghettos und den Aufstand der Heimatarmee Polens. Die Niederschlagung des Aufstands 1944, der im August begann, führte zur vollständigen Zerstörung Warschaus, zur Ermordung von mehr als hunderttausend Menschen durch die Wehrmacht und die SS – unter Duldung der Roten Armee, die die Aufständischen im Stich ließ.
PS II
Ein Kriegs-Völkerrecht ist als solches eine Perversion. Dass sich die Nazis darüber hinweggesetzt haben, spricht klare Bände über eine grenzenlos entartete Psyche.
Foto:
Warschauer Ghetto, nach Niederschlagung des Aufstandes von 1943 gemäß einem Befehl Adolf Hitlers von deutschen Vernichtungskommandos dem Erdboden gleichgemacht. Aufnahme von Osten, entstanden 1945. The book: „Warszawa 1945-1970“, Publisher: Wydawnictwo Sport i Turystyka, Warszawa, 1970, page 232. By: Leonard Jabrzemski
Dear Sir,
I found here a photograph of Warsaw getto taken probably from Wikipedia Commons where it was published with wrong name and without rights. Unfortunately this photo has restricted rights – the owner is Mr. Jerzy Szczecinski, son of an author Karol Szczeciński. The photo was removed from Wikipedia due to his copyrights. In his name I kindly ask you to remove this photo from this blog too. Eventually, you can buy a licence for internet usage in East News Poland photo agency, who represent Mr. Szczeciński copyrights.
Best regards,
Marek Z.
Dear Marek,
thanks for your kindly way speaking of copyright. Indeed I found the document on Wikipedia Commons; I’ve never seen another picture telling the truth of the cruelty which has happened to the people in the warsaw getto.
Now I decided to remove the photograph, because my blog is a private one, really uncommercial, without a budget to buy copyright.
Best regards
Burcado
PS
Who was Karol Szczeciński? We can find more of him and his work in newsweek.pl.