INVESTIGATIVER JOURNALISMUS. Stell dir mal vor, du hast den richtigen Riecher für ein Thema. Du weisst, dass du es niemals gelernt hast, eine Recherche zu machen, deren Ergebnisse brisant sein werden. Also brauchst du Know-How. Du brauchst Zeit. Du brauchst Medien, die deine Story drucken werden. Du brauchst Geld. Am Anfang weisst du nur, dass du deiner Intuition trauen kannst. Aber was kommt dann?
Vor einer Recherche beginnst du mit einer Oberflächen-Recherche. Irgendwie hast du die Idee, dass an einem Fall etwas nicht stimmt. Je mehr Medien über ein Ereignis berichten, desto genauer kannst du sehen, ob etwas verborgen wird. Sehen wir einmal von der Contentmafia ab, dann hat jede Berichterstattung einen speziellen Nimbus; entweder du vertraust dem Schreiber, weil die Story gut ist oder du hast eine dunkle Wolke vor dir.
Ein brisantes Geschehen wird angerissen und verliert sich in allen Medien innerhalb kurzer Zeit. Wenn du aufmerksam eine Meldung liest, dann spürst du, ob es dich wirklich interessiert, ob dein Herz aufschreit oder ob du distanziert oder vage bist. Dann beginnt das Mitdenken. Und das Mitfühlen. Du versetzt dich in die Rolle des Opfers und du versetzt dich in die Rolle des Täters. Jede Tat ist ein Zusammenspiel von Opfer und Täter, jede Untersuchung stellt die Frage nach dem Motiv.
Von der Oberfläche in die Tiefe
Du wirst in die jüngste Vergangenheit hineingehen, du wirst die Zeit spreizen müssen, für jegliche Aktivität. Dich interessiert bei jedem Teilabschnitt jegliches Warum, Wie und Wann. Alle relevanten Menschen müssen dir wichtig erscheinen. Du wirst Orte oder Regionen genauer kennenlernen. Und du wirst ein Zeitreisender sein, um Hintergründe erfassen zu können. Manchmal führt dich die Vergangenheit in die Gegenwart, manchmal ist es die Zukunft, um die Sprache eines Verbrechens verstehen zu können.
Es kommt nicht darauf an, Aufsehen aus egoistischen Gründen erregen zu wollen. Ehrlicher Journalismus ist Wahrheitsfindung. Wenn du weisst, warum du schreiben kannst, dann hat das etwas mit Sinn zu tun. Schreiben ist einfach. Lügen ist einfach. Verschleiern ist einfach, nur auf einer anderen Ebene. Aufdeckendes Schreiben ist aufwendig, meistens kompliziert und manchmal sehr kompliziert.
Nehmen wir einmal an, du entschliesst dich an einem bestimmten Punkt, die Oberflächen-Recherche zu beenden. Entweder hat deine Arbeit ergeben, dass du dich auf einem Holzpfad befindest. Oder du bekommst Angst vor Goliath. Oder du lebst einen pragmatischen Pessimismus. Ohne Geld, glaubst du, kannst du nicht drei Monate lang existieren, nicht einmal einen Monat, nicht einmal eine Woche.
Doch wenn ein Geschehen, sagen wir einmal ein Unfall, alle Merkmale eines Mordes aufweist, was hindert dich wirklich, die eigentliche Recherche zu beginnen? Du hast nur Indizien – sonst nichts. Eigentlich sind die Indizien nicht einmal wirkliche Indizienbeweise. Nur deine innere Stimme sagt dir, dass etwas nicht stimmt.
Einen sechsten Sinn entwickeln
Nehmen wir einmal an, dass du dich gegen all deine eigenen Einwände auf den Weg machst. Dann brauchst du handwerkliches Wissen, du brauchst Know-how. Wenn du das noch nie gemacht hast, brauchst du nur Hunger zu haben. Vielleicht solltest du dich mit Menschen austauschen, die wissen, wie du investigativ arbeitest.
Du wirst zum Forscher. Dein Alltag wird nachforschend und ausforschend sein. Wenn deine Arbeit enthüllend und aufdeckend sein soll, wirst du sehr genau sein müssen. Aus Intuition wird Recherche, und deine Arbeit wird wissenschaftlich sein. Du kannst dir keine Schnitzer leisten. Mit der Zeit entwickelst du einen sechsten Sinn für jegliches Detail und für deine eigene Supervision.
Wenn du deinen Artikel geschrieben hast, wirst du das richtige Medium finden müssen – einen Verlag oder ein Unternehmen, das dich und deine Arbeit ernst nimmt. Vielleicht wirst du dein eigenes Buch schreiben, dein erstes Hörspiel machen oder das Drehbuch für einen Film schreiben. Stoff genug gibt es allemal.
Eine Anleitung für deinen neuen Alltag findest du im Internet. Es ist gar nicht so schwer, wie wir uns das vorstellen. Jedes Geschehen ist mit Menschen verbunden, mit dem Opfer und mit dem Täter. Es gibt Menschen, die dir etwas erzählen wollen und es gibt Menschen, die sich weigern, mit dir in Kontakt zu gehen. Jeder Vorgang erzählt dir etwas.
Intensive Bemühungen können zum Gelingen führen
Je mehr du dich mit einer Angelegenheit befasst, desto größer wird die Chance, dass du Informationen bekommst. Von Angehörigen, Freunden oder Verwandten. Du wirst Informationen aus dem Netzwerk des Täters oder einer Tätergruppe benötigen. Irgendeiner wird reden.
Am Anfang wirst du über dich und dein Leben nachdenken, vielleicht brauchst du ein Pseudonym und eine Telefonnummer, die deine Identität nicht preisgibt. Wenn ein Fall länger als zehn Jahre zurückliegt, wird es schwer für dich werden. Je geringer die Zeitspanne zwischen Geschehen und deinem Interesse ist, lebst du in einem Präsenzfeld, das voller Aufruhr ist.
Wenn deine Intuition geschult ist, kannst du durch Mauern sehen; du ahnst mehr, als dass du weisst, weil die Spuren noch in der Luft liegen. Wenn du anfangen möchtest, das journalistische Arbeiten zu lernen, musst du nicht unbedingt mit der Jahresversammlung der Kaninchenzüchter beginnen. Lass dich auch nicht verleiten, die Schönheit der Vorgärten mit Gartenzwergen zu untersuchen. Mache es richtig oder mache es gar nicht.
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RECHERCHE: INVESTIGATIVER JOURNALISMUS
BILD – GÜNTER WALLRAFF 1982: MARCEL ANTONISSE, ANEFO – WIKIPEDIA, COMMONSENSE